Armut durch Pflege

Interview mit Claus Bölicke

In Deutschland gibt es insgesamt 2,9 Millionen Pflegebedürftige und die Hauptlast der Pflege liegt bei den Familien. Nur wenn die Angehörigen nicht mehr können, kommen die Pflegebedürftigen ins Heim. So werden 73 Prozent aller Pflegebedürftigen zu Hause von ihren Angehörigen gepflegt. Die AWO … Info: sprach dazu mit Claus Bölicke, dem Leiter der Abteilung Gesundheit, Alter und Behinderung beim AWO Bundesverband.

Claus Bölicke AWO Bundesverband
Leiter der Abteilung Gesundheit, Alter und Behinderung Claus Bölicke AWO Bundesverband Leiter der Abteilung Gesundheit, Alter und Behinderung

Viele Betroffene reduzieren für die Pflege von Kranken und Alten ihre Arbeitszeit. Die AWO appelliert an die Politik. Warum?
Wenn man sich entscheidet, Angehörige selber zu pflegen oder auch nur in Teilen, hat man oft weniger Einkommen. Man zahlt weniger in die Sozialversicherungen ein und das spiegelt sich bei der späteren Rente negativ wieder.

Einige müssen für die Pflege sogar ihren Job ganz aufgeben. Die Folge wäre dann ein Leben auf Hartz IV Niveau?
Hartz IV, bzw. die Grundsicherung im Alter wäre der schlimmste Fall. Wir kennen Beispiele, wo eine Mutter ihre Tochter pflegt und am Anfang noch Teilzeit arbeiten geht, dann aber die Berufstätigkeit aufgeben muss und so in Hartz IV rutscht. So ein Pflegezeitraum geht statistisch über sieben bis acht Jahre und das wirkt sich im Alter tatsächlich aus. Dazu kommt, dass Frauen zu 75 Prozent die Pflegenden sind und sie haben schon während der Kindererziehung eine Auszeit genommen. Die Frauen sind dann doppelt betroffen.

Seit Januar ist ja die neue Pflegereform in Kraft. Die Leistungen für Pflegebedürftige zu Hause reichen monatlich von 125 bis maximal 901 Euro …
… das Pflegegeld steht zunächst dem Pflegebedürftigen zu. Es ist natürlich in der Realität so, dass das Geld in das Familieneinkommen einfließt, damit die Angehörigen die Pflege organisieren können. Aber es könnte sich auch ein Pflegebedürftiger mit dem Geld selbst organisieren und Hilfe holen, beim Einkaufen, bei der Hilfe im Haushalt, etc.

Die Grundlage der Pflege in Deutschland ist die ehrenamtliche Fürsorge füreinander, seit Bismarcks Zeiten. Also: „Daheim statt Heim“?
Wir fahren die Angehörigen zurzeit auf Verschleiß. Wir wissen, dass die Pflege auf die eigene Gesundheit schlägt, krank und pflegebedürftig macht und sich im Alter die Pflegebedürftigkeit reproduziert. Es gibt zwar ein paar Verbesserungen, auch die Tagespflege ist ausgebaut worden, aber das reicht für die pflegenden Angehörigen bei weitem nicht aus.

Die Bundestagswahl steht vor der Tür. Was fordert die AWO da von den Parteien?
Wir verlangen, dass man die Angehörigen unterstützt und entsprechend in die Lage versetzt, die Pflege gut, lange und auch unter Erhaltung der eigenen Gesundheit durchzuführen. Die AWO fordert auch weitere Verbesserungen bei der rentenrechtlichen Absicherung von pflegenden Angehörigen, damit die Auszeit letztendlich im Alter nicht zur Altersarmut führt. Denn das ist ja eine Bestrafung der Menschen, die sich sozial einsetzen und sich um ihre Familien kümmern.

Armut durch Pflege

Fotos: AWO Bundesverband