Gastbeitrag Selbst Schuld an der Armut?

Gastbeitrag

Hartmut Storrer
Leiter des Referats Soziale Dienste
Caritas Mecklenburg e.V.Hartmut Storrer Leiter des Referats Soziale Dienste Caritas Mecklenburg e.V.

Liebe Leserinnen und Leser,

wer kennt die Sprüche nicht: Hast du kein Geld – dann kümmere dich oder wenn man sich selbst anstrengt, dann schafft man das. Ist man an Armut selber schuld?

Der Zusammenhang zwischen sozialen Problemstellungen und Sozialleistungen ist wissenschaftlich überprüft. Das unglückselige Zusammenspiel zwischen der Kompetenz, sein Leben im Umgang mit sozialen Problemen und Fragen zu meistern und die Abhängigkeit von Sozialleistungen. Das kann man leider nicht ganz voneinander trennen.

Die Abhängigkeit von sozialen Leistungen mache ich jetzt mal zum Synonym des Armutsverständnisses. Denn, wenn wir über das Existenzminimum reden, meinen wir diejenigen Menschen, die Transferleistungen des Staates bekommen. Nach der Wende sind zig Tausend auch hier im Land zu Sozialleistungen gekommen, die echt nichts dafür konnten, nur weil die DDR zusammengebrochen ist. Heute liegen wir in MV bei einer Arbeitslosigkeit von unter zehn Prozent. Aber viele Menschen bleiben in der Langzeitarbeitslosigkeit und nicht nur, weil sie keine Arbeit finden, sondern, weil sie auch sonst Schwierigkeiten in ihrem Leben haben.

Die Zahl der jungen Menschen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, ist unerträglich hoch.

Ich bin als Mensch und auch als Sozialarbeiter weit davon entfernt, zu sagen: die Menschen haben selbst schuld an ihrem Elend. Sie wurden geboren in eine Zeit, die es nicht gut meint mit den Menschen; sie sind geboren in eine Zeit des Turbokapitalismus, der nicht Halt macht vor der Seele eines Menschen und sie sind geboren in einer Zeit, in der Ellenbogen zu gebrauchen sind, um voranzukommen.

Die Zahl der jungen Menschen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, ist unerträglich hoch. Sie haben daran keine Schuld, weil sie bis dahin für ihre eigene Entwicklung nur bedingt verantwortlich sind. Es ist ein Versagen von Teilen unseres Gemeinwesens!

Völlig versagt hat für mich die Bundes- agentur für Arbeit mit ihren unseligen Untergliederungen in Jobcenter und Agentur für Arbeit, Optionskommune, Bedarfsgemeinschaft etc. Die Praxis zeigt, dass vom Jobcenter kaum eine Vermittlung in brauchbare Jobs erfolgt. Dazu Zahlen: MV hatte 2005 ungefähr 200.000 Menschen in Bedarfsgemeinschaften die von SGB II Grundsicherung gelebt haben. Damals hatten wir eine Arbeitslosenquote von 18,9 Prozent.

2017 leben in MV immer noch 170.000 Personen in Bedarfsgemeinschaften bei einer Arbeitslosenquote von 9,6 Prozent. Da liegt das Versagen! Denn das Hartz IV System ist wie ein Betonsockel, in den die Leute gestellt werden. Es ist meiner Meinung nach ein öffentlich organisiertes Elend, weil es keine vernünftigen Förder- programme und Förderinstrumente für diese Menschen gibt. Der öffentlich ge- förderte Beschäftigungssektor wurde so gut wie abgeschafft. Das ist für mich ein großer Fehler, dass es für die Leute, die soziale Unterstützung bei einem Arbeitsverhältnis benötigen, keine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt gibt. Nochmals: An der Armut ist man nicht selbst schuld.

Mit besten Grüßen

Hartmut Storrer