Die Schuldgefühle, die man sich selber macht, sind groß genug.

Wenn Frauen sich gegen ein Kind entscheiden

Stefanie Henschel, Leiterin der Schwangerschaftsberatung in Schwerin Stefanie Henschel, Leiterin der Schwanger­schafts­be­rat­ung in Schwerin

Über einen Schwangerschaftsabbruch zu schreiben ist heikel. Es spaltet Menschen in ihrer Meinung. Es gibt Ärzte, die für Informationen auf ihrer Homepage zum Schwangerschaftsabbruch angezeigt und verurteilt wurden. Eine kleine Veränderung gab es letztes Jahr im § 219 a StGB. Ein Arzt oder eine Ärztin darf jetzt auf Ihrer Internetseite darüber informieren, dass es in ihrer Praxis möglich ist, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen. Alle weiteren Informationen erfährt die Frau aber nur im persönlichen Gespräch mit der Ärztin oder in einer anerkannten Schwangerschafts­konflikt­beratungs­stelle.

Im Wartebereich sitzt eine junge Frau und wartet auf ihr Gespräch. Sie hat sich telefonisch einen Termin geholt. Sie legt sich Argumente zurecht, die sie der Beraterin gleich sagen wird. Hoffentlich reichen diese, überlegt sie. Sie wird nach ihrem Gespräch noch zur Krankenkasse gehen und die Kostenübernahme für ihren Schwangerschaftsabbruch beantragen. Und, sie braucht die Überweisung ihrer Frauenärztin, wenn sie sich für eine Methode entschieden hat.

Das Beratungsteam: v.l.n.r.: Anne-Katrin Ehret, Jana Lampe, Stefanie Henschel, Antje Paetsch Das Beratungsteam: v.l.n.r.: Anne-Katrin Ehret, Jana Lampe, Stefanie Henschel, Antje Paetsch

Sie ist unsicher und unter Zeitdruck. Zwischen dem Gespräch in unserer Beratungsstelle und dem Eingriff müssen 3 Tage liegen. Den medikamentösen Abbruch kann sie nur bis zur 7. Schwanger­schafts­woche vornehmen lassen. In der 5. Schwangerschaftswoche ist sie nach der medizinischen Rechenweise mindestens. Der instrumentelle Abbruch wird bis zur 12. SSW möglich sein. Sie wird noch eine Überweisung brauchen und sich Gedanken machen, was sie mit ihrem Arbeitgeber bespricht und ob sie ihrer Freundin davon erzählt. Über dieses Thema spricht man nicht. Selbst im Netz fand sie keine guten Informationen auf Seiten, die sie für seriös gehalten hätte; die von ihrer Frauenärztin zum Beispiel.

Die Beraterin bittet sie rein und bietet ihr einen Tee an. Die Gründe der Frauen, die zu uns kommen, sind vielfältig. „Ich habe gerade eine neue Arbeit. Ich bin in der Probezeit“, „Ich bin alleinerziehend. Ich schaffe nicht noch ein Kind alleine“, „Ich habe seit 5 Jahren Depressionen“, „Mein Partner hat mich verlassen, als ich sagte, dass ich schwanger bin“, „Ich weiß nicht, wer der Vater ist“, „Ich habe Alkohol getrunken und Medikamente genommen“, „Morgens freue ich mich fast ein bisschen und abends denke ich, ich schaffe das nicht“ „Ich kann mir ein Kind einfach nicht leisten“. Einige Frauen haben schon einen festen Entschluss gefasst und sind sehr klar. Andere Frauen sind aufgelöst, unsicher und ambivalent. Das Schwanger­schafts­konflikt­ge­spräch bietet den Frauen die Möglichkeit, ihren Konflikt mit einer außen­stehenden und unbeteiligten Person zu beleuchten und bei sich und ihrem Weg anzukommen. Manchmal gibt es aber auch kein klares Ja oder Nein.

Das Haus der Beratung in Schwerin Das Haus der Beratung in Schwerin

Die Frau wird bei uns alles zum weiteren Vorgehen erfahren. Über Fristen, Dokumente und Scheine und Methoden für Schwanger­schafts­ab­brüche und wer welche durchführt. Über Hygiene und gesundheitliche Fragen nach dem Abbruch, über Hilfeleistungen und Verhütung. Die Schwangere bekommt als Nachweis über unser Gespräch ein Dokument für den Arzt, der den Abbruch durchführen wird. Wie viele Frauen nach unserem Gespräch tatsächlich abtreiben, erfahren wir nicht. 100 986 Frauen trieben im letzten Jahr insgesamt in Deutschland ab. (DESTATIS 2019*)

Ich bin alleinerziehend. Noch ein Kind schaffe ich einfach nicht.

Unsere junge Frau ging mit dem Gefühl aus der Beratung, sich geöffnet zu haben, ohne bewertet zu werden. Sie wünschte sich, dass es nicht der einzige Ort wäre, an dem Frauen keine Verurteilung befürchten müssen. „Die Schuldgefühle, die man sich selber macht, sind groß genug!“, sagte sie im Türrahmen und geht.
*Statistisches Bundesamt

Stefanie Henschel