„Gesichter der Armut“ in
Mecklenburg-Vorpommern

Prof. Dr. Peter A. Berger, Universität Rostock


Prof. Dr. Berger

Unter „Armut“ wird in
den gängigen Erhebun-
gen meist Einkommens-
armut verstanden.

Was bedeutet Armut in Mecklenburg-Vorpommern? Wer ist „arm“? Wie verbreitet ist Armut in Stadt und Land? Wie erfahren und erleben Betroffene ihre Lebenssitua-tion, wie gehen sie mit Einschränkungen und Beeinträchtigungen um? Und welche Wege führen in Armut hinein, welche aber vielleicht auch wieder heraus? Unter dem Titel „Gesichter der Armut“ gehen derzeit Sozialwissenschaftler/innen der Universi-täten Rostock und Greifswald, der Fach-hochschule Neubrandenburg und vom Thünen-Institut für Regionalentwicklung in Bollewick diesen Fragen im Auftrag der AWO M-V nach.

Was „ist“ nun Armut in einem im inter-nationalen und historischen Vergleich reichen Land wie der Bundesrepublik Deutschland? Und was verbirgt sich hinter den z.B. in den Armuts- und Reichtumsberichten der Bundesregierung, aber auch in vielen anderen Studien berichteten sog. „Armutsquoten“, also den Anteilen von Armen an der Bevölkerung bzw. an ein-zelnen Bevölkerungsgruppen?

Armutsquote von 15,2% in Deutschland

Unter „Armut“ wird in den gängigen Erhebungen meist Einkommensarmut ver-standen. Diese wird in der Regel „relativ“ erfasst, d.h. als „arm“ oder von Armut bedroht gilt, wessen Einkommen unterhalb von 50% oder 60% des (Netto-)Durchschnittseinkommens in einer Bevölkerung(sgruppe) liegt. Aus statis-tischen Berechnungen, die auch Größe und Zusammensetzung von Haushalten berücksichtigen, ergibt sich so beispielsweise im Jahre 2012 für einen Einpersonenhaushalt eine „Armutsrisikoschwelle“ von 869 Euro, für einen Haushalt mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern unter 14 Jahren liegt der Wert dann bei 1.826 Euro (gemessen jeweils am bundesdeutschen Durchschnittseinkommen). Da das Ein-kommensniveau und damit der Durchschnitt in M-V insgesamt niedriger ist

als in der Bundesrepublik, lagen hier die entsprechenden Werte bei 723 Euro bzw. 1.518 Euro.

Alle Personen, die mit ihrem Einkommen unter diesen Werten liegen, werden dann in der Statistik als „arm“ bezeichnet, woraus sich für das Jahr 2012 in Deutschland insgesamt eine Armutsquote von 15,2% und für M-V gemessen am Bundesdurchschnitt ein Anteil an Armen an der Bevölkerung von 22,9% ergibt. Legt man allerdings das niedrigere Durchschnittseinkommen von M-V zugrunde, sinkt die Schwelle, ab der jemand als „armutsgefährdet“ gezählt wird (60% des Durchschnitts), deutlich – und es ergibt sich ein Anteil von Armen an der Bevölkerung M-Vs von „nur“ noch 13,5%.
(Diese Angaben beruhen auf Auswertung des sog. Mikrozensus, bei dem jährlich rund 830 000 Personen in etwa 370 000 privaten Haushalten durch das Statistische Bundesamt u.a. nach ihrer Einkommenssituation befragt werden.)

Armut ist relativ

Aus solchen Zahlen und insbesondere aus den genannten Einkommensgrenzen wird auch ersichtlich, dass wir, wenn wir in Deutschland über Armut reden, in der Regel nicht von massenhaftem Hunger und von Massenobdachlosigkeit sprechen, wie wir sie etwa immer noch in Ländern Asiens oder Afrikas finden. Für solche Situationen von Not und Elend haben die UN und die Weltbank einen Betrag von 1,25 Dollar je Tag festgelegt, bei dessen Unterschreiten die betroffenen Personen als „arm“ bezeichnet werden. In den reich(er)en Ländern beziehen wir uns demgegenüber auf Situationen, in denen jemand „relativ“ zu anderen Personen deutlich weniger an Einkommen zur Verfügung hat – was natürlich Not und Elend, Hunger und Obdachlosigkeit als extreme Formen von Armut einschließen kann.

Mit diesem Verständnis von (relativer) Einkommensarmut werden aber beispielsweise auch Studierende, deren monatliches Einkommen sich ja durchaus in der Größenordnung der für die Bundesrepublik errechneten Armutsschwellen bewegen

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